Öffentlicher Auftraggeber muss selbst werten

Der öffentliche Auftrageber hat die Wertungsentscheidung selbst zu treffen, er darf sie nicht einem Sachverständigen (Planungsbüro, Projektsteuerungsbüro) überlassen.

OLG München, Beschluss vom 15.07.2005 – Verg 14/05

 

Volltext:

Der Vergabesenat des Oberlandesgerichts München hat unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin am Bayerischen Obersten Landesgericht Hirt sowie des Richters am Oberlandesgericht Dr. Srkal und der Richterin am Bayerischen Obersten Landesgericht Vavra

am 15. Juli 2005

in dem Nachprüfungsverfahren

….

b e s c h l o s s e n :

Die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer Nordbayern vom 17. Juni 2005 wird einstweilen verlängert.

G r ü n d e :

I.

Der Antragsgegner schrieb europaweit im Offenen Verfahren im Zuge von Sanierungs- und Erweiterungsarbeiten für das Klinikum N. die Küchentechnik aus, bestehend aus den Losen Kücheneinrichtung, Kühltechnik und Containerküche. Angebote für Einzellose sind zugelassen, Nebenangebote nur in Verbindung mit einem Hauptangebot. Angebote waren bis zum 31.3.2005 einzureichen. Als Zuschlagskriterien sind im Aufforderungsschreiben zur Abgabe eines Angebotes benannt: Preis, Qualität und Folgekosten. Mindestanforderungen für Nebenangebote sind nicht benannt. Unter Ziffer 7 der Angebotsaufforderung heißt es: "Bedarfspositionen werden grundsätzlich gewertet" und unter Ziffer 10.1.1 der Besonderen Vertragsbedingungen: "Den Abschluss eines Wartungsvertrages für zu wartende Anlagen behält sich der AG vor." Im Leistungsverzeichnis ist bei Position 10.001 (Los 1 Kücheneinrichtung) ein Wartungsvertrag über den Zeitraum von vier Jahren anzubieten. Hierzu ist vermerkt: "Die anfallenden Kosten sind entsprechend für die Dauer von jeweils 1 Jahr einzukalkulieren. Ein Anspruch auf die Beauftragung dieser Position besteht nicht." Die Verdingungsunterlagen sind vom Planungsbüro T. gefertigt worden.

Die Antragstellerin gab ein Hauptangebot für alle drei Lose und sieben Nebenangebote, die Beigeladene ein Angebot für alle drei Lose ab. Nach rechnerischer Prüfung lag bei Los 1 das Angebot der Beigeladenen an erster Stelle mit 1.206.292,12 €, das Angebot der Antragstellerin an zweiter Stelle mit 1.228.608,74 €, jeweils brutto. Die Position 10.001 hatte die Antragstellerin mit 57.793 €, die Beigeladene mit 35.164 € angeboten. Vier Nebenangebote der Antragstellerin wurden vom Planungsbüro T. nicht in die Wertung einbezogen, weil sie Einschränkungen gegenüber dem Leistungsverzeichnis enthielten.

Mit Schreiben vom 4.5.2005 teilte das Klinikum N. der Beigeladenen mit, es sei beabsichtigt, auf ihr Angebot betreffend Los 1 Kücheneinrichtung den Zuschlag zu erteilen. Der Antragstellerin wurde am gleichen Tage mitgeteilt, auf ihr Angebot könne der Zuschlag nicht erteilt werden, weil ein günstigeres Hauptangebot vorliege. Beide Schreiben waren von einem Ingenieur des Planungsbüros T. neben dem Stempel des Planungsbüros unterschrieben. Mit Fax vom 5.5.2005 rügte die Antragstellerin, das Informationsschreiben sei nicht von der Vergabestelle Klinikum N. unterschrieben worden. Es fehle damit an einer Auftraggeberentscheidung des Klinikums N. Zudem sei das Angebot der Beigeladenen nicht das wirtschaftlich günstigste. Dies könne nur dann der Fall sein, wenn das Angebot zum Abschluss eines Wartungsvertrages gemäß Position 10.001 des Leistungsverzeichnisses in die Wertung einbezogen worden sei. Dies sei aber nicht zulässig, da das Leistungsverzeichnis selbst den Satz enthalte, dass ein Anspruch auf Beauftragung dieser Position nicht bestehe. Dem stehe auch nicht entgegen, dass Bedarfspositionen gemäß Ziffer 7 der Angebotsaufforderung grundsätzlich gewertet werden. Bei der Abfrage eines Wartungsvertrages handele es sich nicht um eine Bedarfsposition; auch sei unklar, auf welche Zeiträume sich eine Beauftragung beziehen solle, so dass die Wertungskriterien unklar seien. Die nicht gewerteten Nebenangebote der Antragstellerin seien gleichwertig und deshalb in die Wertung einzubeziehen.

In einem internen Schreiben des Planungsbüros T. an das Projektsteuerungsbüro H. vom 9.5.2005 führt dieses aus, das Planungsbüro sei "von der Vergabestelle für die Wertung und die anschließende Versendung der Absageschreiben beauftragt" worden, so dass "die darauf enthaltene Unterschrift im Sinne der Vergabestelle und damit rechtsgültig sei". Die Wertung der Leistungsverzeichnisse und auch der Vergabevorschlag seien vom Planungsbüro erstellt und im Anschluss mit der Vergabestelle durchgesprochen und von ihr gebilligt worden; eine Auftraggeberentscheidung seitens des Klinikums liege daher vor. Das Angebot der Beigeladenen sei das wirtschaftlich günstigste gewesen; die Position 10.001 sei als Bestandteil des Leistungsverzeichnisses in die Wertung mit aufgenommen worden. Da die Angebote der Beigeladenen und der Antragstellerin in den Punkten Qualität und Folgekosten gleichwertig seien, habe man die Wirtschaftlichkeit als entscheidendes Kriterium herangezogen. Dieses interne Schreiben wurde der Antragstellerin mit Schreiben des Projektsteuerungsbüros H. in Kopie übermittelt.

Mit dem am 17.5.2005 gegen den Antragsgegner gestellten Nachprüfungsantrag wiederholte die Antragstellerin ihre Rügen und erweiterte sie nach Akteneinsicht. Ein vollständiger Vergabevermerk liege nicht vor, da nicht ersichtlich sei, welches Beschlussorgan des Antragsgegners die Entscheidung über die geplante Zuschlagserteilung an die Beigeladene getroffen habe. Das Planungsbüro T. teilte der Vergabekammer mit, die Position 10.001 sei bei allen Bietern als Hauptposition ausgeschrieben und gewertet worden. Das Projektsteuerungsbüro H. teilte mit, es habe im Auftrag und im Namen des Klinikums N. das Planungsbüro T. dazu ermächtigt, die Vorinformationsschreiben für deren Gewerke als Erfüllungsgehilfe des Bauherrn zu erstellen und zu versenden.

Die Beigeladene steht auf dem Standpunkt, die Position Wartungsvertrag für vier Jahre sei zu berücksichtigen, da die Wartungskosten erheblichen Einfluss auf die Folgekosten und damit die Rentabilität hätten.

Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag am 17.6.2005 zurückgewiesen.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde, mit der sie einen Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung verbindet.

II.

1. Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde gemäß § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB zu verlängern, ist zulässig und begründet. Nach der im Verfahren nach § 118 GWB gebotenen summarischen Prüfung hat das Rechtsmittel Aussicht auf Erfolg, § 118 Abs. 2 Satz 1 GWB. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist zulässig. Der Antragstellerin kann auch ein Schaden drohen, da sie bei einer Herausnahme der Position "Wartungsvertrag" aus der Wertung mit ihrem Angebot das preisgünstigste Angebot stellt. Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet, da die Wertung der Angebote nicht ordnungsgemäß erfolgt ist.

2. Der Antragsgegner hat die Wertungsentscheidung nicht selbst getroffen, sondern sie vollständig dem Planungsbüro T. überlassen. Eine ordnungsgemäße Wertung hat deshalb bisher nicht stattgefunden.

a) Grundsätzlich kann und darf ein öffentlicher Auftraggeber sich bei der Vorbereitung der Vergabe eines Sachverständigen bedienen, § 7 Nr. 1 a und b VOB/A. Dieser kann die Vergabe, insbesondere die Verdingungsunterlagen, vorbereiten (§ 7 Nr. 1 a VOB/A) oder die geforderten Preise beurteilen (§ 7 Nr. 1 b VOB/A). Die Einschaltung von Planungs- oder Projektsteuerungsbüros ist in der Praxis zur Unterstützung der öffentlichen Auftraggeber auch üblich. Der Sachverständige darf aber nur zur Unterstützung des öffentlichen Auftraggebers eingesetzt werden; er kann also den dem Vergabeverfahren zugrunde liegenden Sachverhalt kaufmännisch, technisch oder juristisch aufbereiten. Entscheiden darf er aber nicht; die Kernkompetenz muss beim Auftraggeber verbleiben. Darum darf er zwar die Wertungsentscheidung vorbereiten, er darf sie aber nicht selbst treffen; dies ist alleinige Aufgabe des Auftraggebers (OLG Naumburg vom 26.2.2004 – IBR 2004, 218; VK Lüneburg vom 3.5.2005 – VgK-14/2005 und vom 18.11.2002 – 203-VgK-25/2002; VK Sachsen vom 9.5.2003 – 1/SVK/034-03, Franke/Mertens VOB-Kommentar 2. Aufl. § 7 VOB/A Rn. 4 und 7; Herrmann in Völlink/Kehrberg VOB/A § 7 Rn. 22; Schranner in Ingenstau/ Korbion 15. Aufl. § 7 VOB/A Rn. 27). Eine Wertung, die nicht der Auftraggeber selbst durchgeführt hat, verstößt gegen das Transparenzgebot sowie gegen den Wettbewerbsgrundsatz und ist deshalb rechtswidrig. Eine Vergabe hat erst dann zu erfolgen, wenn die Wertung korrekt durch den Auftraggeber erfolgt ist.

b) Der Antragsgegner hat sich an der Wertung nach Aktenlage offensichtlich überhaupt nicht beteiligt. Dies ergibt sich im Grunde genommen schon aus den verschiedenen Schreiben des Planungs- und des Projektssteuerungsbüros. Wenn auch in diesen Schreiben beteuert wird, die Wertung sei mit dem Klinikum besprochen worden, das Klinikum habe die Wertung gebilligt und es liege ein Handeln als Erfüllungsgehilfe vor, liegt hierin – unterstellt dieser Sachvortrag trifft zu – keineswegs eine Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers. Denn Auftraggeber ist nach der Vergabebekanntmachung nicht das Klinikum, sondern der Landkreis N., vertreten durch den Landrat. Dieser ist zu keinem Zeitpunkt in das Verfahren involviert worden. Im übrigen hat der Senat aber auch erhebliche Zweifel, ob das Klinikum in irgendeiner Weise an der Wertung beteiligt war. In den gesamten Unterlagen findet sich nichts, was nur annähernd als eine Beteiligung angesehen werden könnte, weder ein Schreiben noch eine Gesprächsnotiz noch ein vom Antragsgegner unterzeichneter Randvermerk "einverstanden". Bezeichnenderweise ist sogar der Vergabevermerk durch das Projektsteuerungsbüro H. erstellt worden; im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer gegen den Antragsgegner haben sich lediglich Planungs- und Projektsteuerungsbüro zur Sache geäußert, nicht etwa der Antragsgegner. Der Vergabevermerk ist im übrigen nicht unterschrieben und damit nicht ordnungsgemäß erstellt.

3. Die Wertung ist durch den Antragsgegner nachzuholen und ordnungsgemäß zu dokumentieren. Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass nach jetzigem Kenntnisstand der Vergabevorschlag des Planungsbüros einer ordnungsgemäßen Wertung entsprechen dürfte.

a) Die Wertung der Bedarfsposition "Wartungsvertrag" hat die Antragstellerin nicht fristgerecht gerügt, § 107 Abs. 3 GWB. Bedarfspositionen enthalten Leistungen, die nur bei Bedarf oder bei entsprechender Entscheidung des Auftraggebers ausgeführt werden sollen und deren Ausführung bei Vertragsschluss noch nicht feststeht (vgl. Franke/Grünhagen § 9 VOB/A Rn. 10). Ob sie in die Wertung einfließen dürfen, ist umstritten, kann hier aber dahinstehen. Denn bereits aus Ziffer 7 der Angebotsaufforderung war für die Antragstellerin ersichtlich, dass Bedarfspositionen grundsätzlich gewertet werden. Dass der Wartungsvertrag nach der Konzeption des Leistungsverzeichnisses eine Bedarfsposition darstellen sollte, war aus der Bemerkung im Leistungsverzeichnis ersichtlich, der Auftraggeber behalte sich den Abschluss eines solchen Vertrages vor. Dies ergibt sich weiter aus Ziffer 10.1.1. der Besonderen Vertragsbedingungen. Danach behält sich der Auftraggeber die Entscheidung über den Abschluss eines Wartungsvertrages ausdrücklich vor. Spätestens bis zur Angebotsabgabe hätte die Antragstellerin deshalb die beabsichtigte Wertung rügen müssen. Das gleiche gilt für den in der Beschwerdebegründung vorgebrachten Einwand, die Ausschreibung der Wartungskosten als Eventualposition widerspreche § 9 Nr. 1 VOB/A.

b) Die Wertung der Nebenangebote der Antragstellerin scheitert schon daran, dass der Antragsgegner es versäumt hat, Mindestanforderungen für die Nebenangebote zu formulieren. Bei Bauaufträgen können Nebenangebote nur gewertet werden, wenn sie die Mindestanforderungen erfüllen, welche der Auftraggeber für Nebenangebote aufgestellt hat, Art. 19 Abs. 2 BKR (EuGH vom 16.10.2003 = VergabeR 2004, 50; BayObLG vom 22.6.2004 = VergabeR 2004, 654; OLG München vom 5.7.2005 – Verg 9/05). Ein ganz allgemein gehaltener Hinweis auf nationale Rechtsvorschriften, die eine gegenüber der ausgeschriebenen Leistung qualitativ gleichwertige Leistung fordern, genügt nicht (EuGH aaO; OLG Düsseldorf vom 7.1.2005 – Verg 106/04; OLG Rostock vom 24.11.2004 = IBR 2005, 107). Ein Rückgriff auf die allgemeinen Anforderungen des Leistungsverzeichnisses ist ebenfalls nicht möglich. Erkennt ein Bieter anhand der Verdingungsunterlagen, dass keine Mindestanforderungen festgelegt worden sind, muss er dies vor Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe rügen (OLG München vom 5.7.2005 – Verg 9/05; OLG Düsseldorf vom 7.1.2005 – Verg 106/04).

4. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Kosten des Verfahrens nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB sind nach ständiger Rechtsprechung des Senats Kosten des Beschwerdeverfahrens, über die im Rahmen der Entscheidung über die Hauptsache zu befinden sein wird.